Orga­nopó­ni­cos (Städ­ti­sche Landwirtschaft)

By Published On: Dezem­ber 1, 2021Cate­go­ries: Öko­lo­gie & Nachhaltigkeit

20.03.07
Kubas Selbst­hil­fe­mo­dell macht Schule
Städ­ti­sche Land­wirt­schaft wie auf der Kari­bik­in­sel wird in Süd­ame­ri­kas Metro­po­len imitiert

Von Knut Henkel

Die städ­ti­schen Gär­ten gel­ten in Kuba als wesent­li­ches Ele­ment zur Lösung der Ver­sor­gungs­pro­ble­me in den Städ­ten. Unmen­gen an Gemü­se und Salat wer­den, so die offi­zi­el­len Sta­tis­ti­ken, in Havan­na und ande­ren Städ­ten des Lan­des geern­tet. Längst wird das Modell als Bei­trag zur Selbst­hil­fe in ande­re Län­der expor­tiert – nicht nur nach Venezuela.

Der Ver­kaufs­stand des »Vivero Orga­nopó­ni­co Ala­mar« ist gut bestückt. Mohr­rü­ben, Kopf­sa­lat, Rote Bete und Kar­tof­feln lagern in gro­ßen Plas­tik­be­häl­tern neben Auber­gi­nen und Papri­ka. Die Kun­den aus den nahe­ge­le­ge­nen Plat­ten­bau­ten, die den Arbei­ter­stadt­teil im Osten der kuba­ni­schen Haupt­stadt Havan­na prä­gen, ste­hen gedul­dig Schlan­ge, um die fri­sche Ware zu kau­fen. »Alles aus öko­lo­gi­schem Land­bau«, sagt Miguel Angel Sal­ci­nes und deu­tet mit einer aus­la­den­den Arm­be­we­gung über den Tre­sen hin­über zu den Anbau­flä­chen. Dort ste­hen eini­ge Genos­sen in den exakt abge­zir­kel­ten Fel­dern und ern­ten Salatköpfe.
Die fri­sche Ware wird per Schub­kar­re zum Ver­kaufs­stand gekarrt und von den war­ten­den Kun­den in die Ein­kaufs­beu­tel ver­staut. Neben einer Fül­le von Salat- und Kohl­sor­ten gibt es reich­lich Gemü­se im Ange­bot, aber auch Zier­pflan­zen und Gewür­ze kann man im Vivero Ala­mar erstehen.
Kon­ti­nu­ier­lich wur­de in den letz­ten drei Jah­ren das Ange­bot und par­al­lel dazu die Anbau­flä­che von knapp vier auf der­zeit knapp zehn Hekt­ar erwei­tert. Kein Wun­der, denn die Nach­fra­ge nach fri­schem Gemü­se ist unge­bro­chen hoch, und auch über zehn Jah­re nach Ein­füh­rung der Stadt­gär­ten ist die Nach­fra­ge deut­lich höher als das Ange­bot. Mit­te der neun­zi­ger Jah­re ent­stand die Idee, Frei­flä­chen in den Städ­ten für den Anbau zu nut­zen, um die Ver­sor­gung in den gro­ßen Städ­ten wie Havan­na, Sant­ia­go de Cuba oder Cama­güey zu erleich­tern. Zum einen fehl­te damals aus­rei­chend Ben­zin und Die­sel für den Trans­port der fri­schen Ware in die Städ­te, zum ande­ren wur­de in den staat­li­chen Genos­sen­schaf­ten viel zu wenig pro­du­ziert, um die rund elf Mil­lio­nen Kuba­ner zu ver­sor­gen. Die Stadt­gär­ten waren eine Alter­na­ti­ve und das Kon­zept hat rela­tiv gut gegriffen.
Damals mach­te sich auch Miguel Angel Sal­ci­nes dar­an, den Stadt­gar­ten von Ala­mar auf­zu­bau­en. Mit vier Kol­le­gen aus dem Agrar­mi­nis­te­ri­um begann der 57-jäh­ri­­ge groß­ge­wach­se­ne Mann sei­nen Traum von der eige­nen Genos­sen­schaft umzu­set­zen. Res­sour­cen stell­te die kuba­ni­sche Regie­rung jedoch kaum zur Ver­fü­gung: »Das Land hat uns der Staat zum Anbau zur Ver­fü­gung gestellt und ansons­ten wur­de eine Steu­er von fünf Pro­zent auf den Ver­kaufs­er­lös erho­ben – das war es schon«, erin­nert sich Sal­ci­nes an die schwie­ri­gen Startbedingungen.
Mit einem hal­ben Hekt­ar star­te­te die Genos­sen­schaft damals und sys­te­ma­tisch wur­de die Anbau­flä­che in den fol­gen­den Jah­ren erwei­tert. Das lag nicht allein an der Ziel­stre­big­keit, mit der Sal­ci­nes und Co. zu Wer­ke gin­gen, son­dern auch an der Hil­fe der Agro Acción Ale­man, wie die Deut­sche Welt­hun­ger­hil­fe in Kuba heißt. Die sorg­te mit hur­rik­an­si­che­ren Treib­häu­sern, Saat­gut und sons­ti­gem Equip­ment für gute Start­be­din­gun­gen der jun­gen Kooperative.
Über­aus ziel­stre­big gehen die Com­pa­ñe­ros dort ihren Auf­ga­ben nach und Pflanz­käs­ten, Kera­mik­töp­fe und Werk­zeu­ge ste­hen sau­ber gesta­pelt an ihrem fes­ten Platz. Unge­wohnt geord­net und klar struk­tu­riert geht alles sei­nen Gang. Dar­über wun­dern sich nicht nur die deut­schen Tou­ris­ten, die hin und wie­der von einem Ver­an­stal­ter nach Ala­mar gefah­ren wer­den, um ein Stück »ech­tes Kuba« zu sehen zu bekom­men. »Auch eine sozia­lis­ti­sche Genos­sen­schaft kann durch­aus pro­duk­tiv arbei­ten«, sagt Sal­ci­nes lächelnd. Und die hohe Pro­duk­ti­vi­tät der Koope­ra­ti­ve schlägt sich in den Löh­nen nie­der. Die lie­gen mit rund 1000 Peso mehr als dop­pelt so hoch wie der kuba­ni­sche Durch­schnitts­lohn, wodurch die 146 Com­pa­ñe­ros sich auch deut­lich mehr leis­ten können.
Längst gilt der Vivero Orga­no­po­nico von Ala­mar als eine Art Modell­be­trieb und Agrar­ex­per­te Sal­ci­nes ist immer mal wie­der unter­wegs, um die Erfah­run­gen der Genos­sen auch inter­na­tio­nal wei­ter­zu­ge­ben. Eini­ge Mona­te war er in Vene­zue­la, um die ers­ten Stadt­gär­ten in Cara­cas mit auf­zu­bau­en. Aber auch in Mexi­ko war er und dem­nächst wird der schlak­si­ge Mann mit den grau­me­lier­ten Haa­ren auch in Spa­ni­en schil­dern, wie die kuba­ni­schen Bau­ern mit orga­ni­schem Land­bau die Nah­rungs­mit­tel­ver­sor­gung Kubas ver­bes­sert haben. Aller­dings läuft es längst nicht in allen Stadt­gär­ten Kubas so rund wie in Ala­mar. Die aller­meis­ten der städ­ti­schen Gär­ten sind deut­lich klei­ner und nicht unbe­dingt der­ar­ti­ge Effi­zi­enz­oa­sen wie der Modell­be­trieb von Sal­ci­nes und Co. Und selbst kuba­ni­sche Agrar­ex­per­ten wie Arman­do Nova vom Insti­tut zur Erfor­schung der kuba­ni­schen Wirt­schaft (CEEC) zwei­feln an den offi­zi­el­len Pro­duk­ti­ons­an­ga­ben. Die lie­gen für 2006 bei 4,2 Mil­lio­nen Ton­nen an Gemü­se, Salat und Wur­zeln. »Das ist zu viel, denn sonst müss­te jeder erwa­chen­se Kuba­ner täg­lich zwei Kilo an Obst und Gemü­se zu sich neh­men. Das ist aber nicht der Fall, denn das kön­nen sich die meis­ten Kuba­ner gar nicht leis­ten«, so der Agrar­spe­zia­list. Gleich­wohl stellt er den städ­ti­schen Gär­ten, in Kuba orga­no­po­nicos oder huer­tos genannt, ein gutes Zeug­nis aus. Die hät­ten zur Ver­bes­se­rung der Ver­sor­gung bei­getra­gen und selbst an den Ernäh­rungs­ge­wohn­hei­ten vie­ler Kuba­ner habe sich etwas geän­dert. »Ande­rer­seits sind wir trotz aller Bemü­hun­gen dazu ver­dammt, Lebens­mit­tel en gros zu impor­tie­ren«, so der Agro­nom. Doch das liegt vor­ran­gig an den Struk­tu­ren der kuba­ni­schen Land­wirt­schaft, und das Modell der städ­ti­schen Gär­ten ist für ande­re Metro­po­len wie Bogo­tá oder Lima sicher­lich inter­es­sant. In Lima hat die Welt­hun­ger­hil­fe bereits ers­te ver­gleich­ba­re Pro­jek­te initi­iert – mit Erfolg.