Die Son­ne als Ret­tungs­an­ker: Kubas ambi­tio­nier­te Solar-Revolution!

By Published On: Mai 28, 2025Cate­go­ries: Öko­lo­gie

20. April 2025 von Andre­as Hesse //

14. März 2025, es ist Frei­tag­abend zur bes­ten Sen­de­zeit, als plötzlich die Bild­schir­me schwarz wer­den. Es ist der vier­te lan­des­wei­te Black­out inner­halb eines hal­ben Jah­res auf Cuba. Nicht nur die Pri­vat­haus­hal­te lei­den dar­un­ter, auch die Pro­duk­ti­on steht pha­sen­wei­se still. Doch bald soll alles anders wer­den, heißt es: Mit der Unterstützung von Chi­na sol­len Solar­parks entstehen.
Ein tech­ni­scher Defekt in einem Umspann­werk bei Havan­na führte an jenem 14. März zu Schwan­kun­gen im natio­na­len Strom­netz und schließ­lich zum lan­des­wei­ten Kol­laps. Die einen verfügen viel­leicht über Speicherkapazitäten, ande­re sit­zen da bei Ker­zen­schein. Doch der bringt weder den Ven­ti­la­tor noch den Kühlschrank zum Lau­fen. Fleisch und Fisch ver­der­ben schnell in kari­bi­schen Gefilden.
Schon an nor­ma­len Tagen wird in Cuba nicht so viel Strom pro­du­ziert, wie gebraucht wird. Zu Spit­zen­nach­fra­ge­zei­ten feh­len 1100 bis 1700 Mega­watt, also ein Drit­tel bis knapp über die Hälfte des Bedarfs. In Havan­na wird jeden Tag für vier bis acht Stun­den der Strom abge­stellt, auf dem Land deut­lich länger. Gründe sind der schlech­te Zustand von Kraft­wer­ken und Netz, aber auch schlicht die feh­len­den Importkapazitäten für das Öl der Kraft­wer­ke. Cuba kann nur knapp vier­zig Pro­zent des benötigten Brenn­stoffs aus eige­nen Quel­len decken.
Die Kom­men­ta­re der Betrof­fe­nen im Black­out ver­wun­dern nicht: „Así no se pue­de vivir“ (So kann man nicht leben). Der tie­fe Frust der Men­schen ist mit Händen zu grei­fen und gewiss nicht weni­ger gewor­den seit dem Macht­an­tritt von Donald Trump, der im Schlepp­tau den kubanischstämmigen Hard­li­ner Mar­co Rubio als Außen­mi­nis­ter mit­ge­bracht hat. Rubio ist eine Hass­fi­gur auf der Insel. Ande­rer­seits ist Präsident Miguel Díaz Canel mit Abstand der unpopulärste der drei Präsidenten, die das Land seit 1959 hat­te. Ihm und der Regie­rung von Pre­mier­mi­nis­ter Mar­re­ro Cruz wer­den selbst aus der älteren Gene­ra­ti­on von Revolutionsanhängern wirt­schaft­li­che Steue­rungs­feh­ler vor­ge­wor­fen (sie­he ila 480). Die Ratio­nen des Bezugs­schein­sys­tems Libre­ta, einst als sozi­al­po­li­ti­sches Instru­ment ein zen­tra­ler Bestand­teil von Fidels Run­d­um-Sor­g­­los-Paket, sind infol­ge der redu­zier­ten Importkapazitäten auf einen Bruch­teil zusam­men­ge­schmol­zen. Nun regie­ren Markt­prei­se, die für beren­tete oder beim Staat arbei­ten­de Men­schen – die­je­ni­gen, für die die Revo­lu­ti­on einst gemacht wur­de –, nicht mehr bezahl­bar sind. 

Son­ne im dunk­len Kühlschrank
Das ist das stürmische Fahr­was­ser, in dem das Mega­so­lar­pro­jekt ein Ret­tungs­an­ker sein soll. Es ist das ein­zi­ge Vor­ha­ben, das hie und da noch so etwas wie Hoff­nung auslöst. Fidel Cas­tro mag damals nicht erkannt haben, dass die dys­funk­tio­na­le Land­wirt­schaft ein struk­tu­rel­les Pro­blem ist. Aber immer­hin hat­te er mit der Ener­gie­fra­ge die zwei­te Achil­les­fer­se des Lan­des im Blick. Sei­ne „Ener­gie­re­vo­lu­ti­on“ aus dem ers­ten Jahr­zehnt des Jahr­tau­sends, die auf den Aus­tausch ener­gie­in­ten­si­ver Elektrogeräte und Glühbirnen durch spar­sa­me­re Gegenstücke abziel­te, führte zu einem Rückgang von Strom­ver­brauch und Black­outs. Aber als Cas­tro ging, hat­te nie­mand mehr die Ener­gie so recht auf dem Radar, das vene­zo­la­ni­sche Erdöl schien ja end­los zu flie­ßen. Doch aus dem Fluss wur­de ein Rinn­sal. 2014 wur­de end­lich beschlos­sen, den Ener­gie­be­darf bis 2030 zu 24 Pro­zent aus Erneu­er­ba­ren zu decken. Nur fehl­te das Geld. Es wur­den zwar vie­le klei­ne Solar­parks errich­tet, die aber mit einer Leis­tung von jeweils zwi­schen zwei und fünf MW einen eher sym­bo­li­schen Bei­trag lie­fer­ten. Laut kuba­ni­schem Ener­gie­mi­nis­te­ri­um stieg bis Ende 2023 der Bei­trag der Solar­ener­gie auf gera­de mal zwei und der Erneu­er­ba­ren ins­ge­samt auf fünf Pro­zent der Stromerzeugung.
Doch nun geht es in die Vol­len. Das Mot­to lau­tet in Anspie­lung auf die US-Blo­ck­a­­de der Insel: „Die Son­ne kann nie­mand blo­ckie­ren.“ Bis 2028 sol­len gemäß ambi­tio­nier­tem Plan über 90 Pho­to­vol­ta­ik­parks quer durchs Land mit einer Leis­tung von jeweils 21,8 MW errich­tet wer­den, davon allein 55 im lau­fen­den Jahr. Pro Pro­vinz sol­len zwi­schen zwei und zehn Solar­parks ent­ste­hen. Havan­na ist mit sechs Pro­jek­ten dabei. Als Sahnehäubchen oben drauf kom­men als Geschenk der chi­ne­si­schen Regie­rung wei­te­re Parks mit einer Gesamt­leis­tung von ins­ge­samt 120 MW. Bis Mit­te März waren die ers­ten drei Parks in Cotor­ro (Havan­na), Cien­fue­gos und Baya­mo ans Netz gegan­gen, wei­te­re fünf soll­ten bis Ende März start­klar sein. Pro Jahr und Solar­park sol­len rund 8000 Ton­nen Treib­stoff ein­ge­spart wer­den. Von den ers­ten bei­den neu­en Parks heißt es im Ener­gie­mi­nis­te­ri­um, sie hätten bis­her mehr Ener­gie gelie­fert als geplant.
Doch der Effekt ist zunächst ein kom­pen­sa­to­ri­scher, da die Verträge für die Anmie­tung der teu­ren türkischen Kraft­werks­schif­fe aus­ge­lau­fen sind oder in Kürze aus­lau­fen – Cuba hat beim Betrei­ber Kara­de­niz Hol­ding Schul­den angehäuft – so dass über 500 MW weg­fal­len. Bis spätestens zum Som­mer soll der Weg­fall per Pho­to­vol­ta­ik aus­ge­gli­chen sein, danach ergäbe sich ein Net­to­ge­winn an Strom. Dies gilt jeden­falls für tagsüber, an teu­ren Speicherkapazitäten für die Nacht wird es nur 200 MW geben (die auch zum Aus­gleich von Schwan­kun­gen und somit zur Prävention von Totalb­lack­outs die­nen). Doch wenn tagsüber der Kühlschrank zufrie­den vor sich hin­schnurrt und vor allem die Betrie­be wie­der durch­ar­bei­ten können, könnte das ein Neu­start für die geplag­te Insel sein.
Hielt sich die Regie­rung zunächst mit Infor­ma­tio­nen bedeckt, ist das Enga­ge­ment Chi­na inzwi­schen bestätigt. Tech­nik, Mate­ria­li­en und Know­how stam­men von dort. Ende des
Jah­res bestätigte Ministerpräsident Mar­re­ro Cruz das Gerücht, dass Chi­na im Gegen­zug am kuba­ni­schen Nickel­berg­bau betei­ligt wird. Nickel ist einer der kri­ti­schen Roh­stof­fe zur Spei­che­rung von Elektrizität, und Chi­na ist welt­weit führend bei der Ver­ar­bei­tung die­ser kri­ti­schen Roh­stof­fe. Somit han­delt es sich um eine Win-Win-Situa­­ti­on. Details des Geschäfts wer­den jedoch nicht bekannt gegeben.
Fer­ner soll ein neu­es Dekret die Betrie­be ab einer gewis­sen Größe zwin­gen, bin­nen drei Jah­ren die Hälfte des Ener­gie­be­darfs aus erneu­er­ba­ren Quel­len zu decken oder aber eine Aus­gleichs­zah­lung an den Ener­gie­ver­sor­ger UNE zu leis­ten, was dann wie­der­um in den Ener­gie­aus­bau gesteckt wer­den soll.
Wie die großflächigen Stromausfälle der letz­ten Mona­te zei­gen, wird das Pro­jekt ohne eine flan­kie­ren­de Moder­ni­sie­rung der Infra­struk­tur von Netz und Kraft­wer­ken nicht aus­kom­men. Russ­land gewährte soeben einen Kre­dit zur Überholung von drei Kraftwerksblöcken mit einer Leis­tung von je 100 MW sowie zum Bau eines neu­en Kraft­werks mit 200 MW. 

Enga­ge­ment aus Deutschland
Ande­re Ener­gie­quel­len spie­len eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le, mit der Aus­nah­me von Bio­mas­se, die immer schon eine gewis­se Rele­vanz auf der Insel hat­te. Man­che der weni­gen ver­blie­be­nen Zucker­fa­bri­ken sind ener­gie­aut­ark, sie nut­zen die Zucker­rohr­ba­gas­se als Ener­gie­quel­le. Und 2023 ent­stand ein Bio­mas­se­kraft­werk in Ciro Redon­do (62 MW), das mit Zucker­rohr­ba­gas­se und dem Marabú-Strauch gefüttert wird. Die Pla­nun­gen zu Was­ser­kraft sind hin­ge­gen in vernachlässigbarer Größenordnung. Auch Wind­parks exis­tie­ren bis­her nur zwei sehr klei­ne und aus dem vor Jahr­zehn­ten in San­ta Cruz del Nor­te geplan­ten größeren Pro­jekt wur­de nie etwas. Aber mit erheb­li­cher Verzögerung soll nun zeit­nah die ers­te Stu­fe (33 MW) des gro­ßen Wind­parks bei Puer­to Pad­re nördlich von Las Tunas Realität werden.
Mit Blick auf die tou­ris­ti­sche Irrele­vanz die­ser Pro­vinz könnte ver­mu­tet wer­den, dass man Tourist*innen durch eine „Ver­spar­gel­ung“ der Land­schaft per Wind­kraft nicht abschre­cken will. Laut Vol­ker Wirth von der auf Cuba enga­gier­ten Ber­li­ner NGO KareEn e.V. (Kari­bik Ener­gie) soll­te gera­de an der Nordostküste mehr in Gang kom­men, während sich Wind­kraft auf der Kari­bik­sei­te weni­ger loh­ne. Grundsätzlich soll­te die Solar­ener­gie stärker durch Wind­kraft und Bio­mas­se flan­kiert wer­den, meint Wirth. Die Orga­ni­sa­ti­on hat rund 50 Mit­glie­der und unterstützt auf Cuba ins­be­son­de­re die Land­wirt­schaft durch den Ein­satz von Solar­pum­pen zur Bewässerung sowie die Solar­strom­ver­sor­gung von Bauernhöfen in ent­le­ge­nen Bergdörfern.
Hil­mi Tozan von der Frank­fur­ter NGO Inter­Red Cooperación sieht bei der Wind­kraft hem­men­de Fak­to­ren: „Cuba verfügt zwar über eini­ge wind­rei­che Gebie­te, ins­be­son­de­re im Osten der Insel, aber die Windverhältnisse sind im Ver­gleich zu ande­ren erneu­er­ba­ren Ener­gie­quel­len wie Solar­ener­gie weni­ger kon­stant. Wind­ener­gie­pro­jek­te sind kapi­tal­in­ten­siv und erfor­dern erheb­li­che Inves­ti­tio­nen, die Instal­la­ti­on und War­tung erfor­dert spe­zia­li­sier­te Tech­no­lo­gie und Infra­struk­tur. Solar­pro­jek­te sind oft kostengünstiger und schnel­ler umzu­set­zen.“ Inter­Red exis­tiert seit den 90er-Jah­­ren und hat seit 2021 drei Pho­to­vol­ta­ik­an­la­gen in Havan­na auf­ge­baut – kom­plett aus Spen­den finan­ziert. Gemein­sam mit einer Schwei­zer NGO, dem kuba­ni­schen Gesund­heits­mi­nis­te­ri­um und dem deut­schen Unter­neh­men Asch­off unterstützt die Orga­ni­sa­ti­on die Latein­ame­ri­ka­ni­sche Medi­zi­ni­sche Hoch­schu­le in Havan­na (ELAM) beim Aus­bau ihrer Solar­ener­gie. Gera­de wird die vier­te Anla­ge auf­ge­baut. „Ein zen­tra­ler Aspekt der Pro­jekt­ar­beit von Inter­Red ist die Wei­ter­ga­be des erwor­be­nen Know­hows. Ande­re Initia­ti­ven können durch Aus­tausch von Fach­wis­sen und prak­ti­schen Erfah­run­gen pro­fi­tie­ren. Dies fördert nicht nur die nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung in den jewei­li­gen Regio­nen, son­dern stärkt auch die glo­ba­le Gemein­schaft im Kampf gegen den Kli­ma­wan­del.“ Das cuba­ni­sche Groß­pro­jekt bewer­ten sie als sehr ambi­tio­niert, aber positiv.
Die Her­aus­for­de­rung der Ener­gie­wen­de auf Cuba ist gigan­tisch und der Zeit­druck immens. Reicht die Zeit, um das Ruder noch her­um­zu­rei­ßen? Das lau­fen­de Jahr ist entscheidend. 

Andre­as Hes­se besucht die Insel seit 1992 und schreibt seit über zwei Jahr­zehn­ten für ver­schie­de­ne Medi­en über Kuba, zuletzt regelmäßig für ila.