Neu­es Fami­li­en­ge­setz: fort­schritt­lich und emanzipatorisch

By Published On: Mai 5, 2022Cate­go­ries: Eman­zi­pa­ti­on

In Kuba läuft seit anfangs Febru­ar 22 eine gross ange­leg­te Volks­be­fra­gung über das neue Fami­li­en­ge­setz. Bis zum 30. April kann die Bevöl­ke­rung über den Ent­wurf bera­ten und Ände­rungs­wün­sche ein­rei­chen. Um die not­wen­di­gen Debat­ten füh­ren zu kön­nen, wer­den lan­des­weit mehr als 78.000 Ver­samm­lun­gen durch­ge­führt an denen jeweils 150 Per­so­nen teil­neh­men kön­nen. Unter­stützt wird der mit der Orga­ni­sa­ti­on betrau­te Wahl­rat dabei von Hun­der­ten Jurist*innen, Supervisor*innen sowie Aktivist*innen der Stu­die­ren­den­or­ga­ni­sa­tio­nen. Gemein­sam sol­len sie die ein­ge­hen­den Ände­rungs­vor­schlä­ge auf­neh­men, für Fra­gen zur Ver­fü­gung ste­hen und vor allem die Trans­pa­renz und Durch­füh­rung der gesell­schafts­po­li­ti­schen Dis­kus­sio­nen gewähr­leis­ten. Am Ende des Pro­zes­ses steht dann die Abstim­mung über das neue Fami­li­en­ge­setz in einem Referendum.

Auch die im Aus­land leben­den Kuba­ne­rin­nen und Kuba­ner kön­nen sich an der Debat­te betei­li­gen. Hier­zu wur­de von Tech­ni­kern der Hoch­schu­le für Infor­ma­tik in Havan­na eigens eine Han­­dy-App pro­gram­miert, deren QR-Code über die Bot­schaf­ten an die jewei­li­gen Per­so­nen wei­ter­ge­ge­ben wird.

Nicht nur die tech­ni­schen Mit­tel und die gewoll­te Brei­te der Debat­te sind in die­sem Kon­text von Bedeu­tung, son­dern vor allem auch die zu dis­ku­tie­ren­den Inhalte.

Mit dem neu­en Fami­li­en­ge­setz soll ein „zeit­ge­mä­ßer, inklu­si­ver und respekt­vol­ler“ Rah­men geschaf­fen wer­den in wel­chem ver­schie­de­ne Lebens­ent­wür­fe Aner­ken­nung fin­den. Das vor­ge­schla­ge­ne Fami­li­en­ge­setz ist eines der fort­schritt­lichs­ten der Welt.

Der Geset­zes­vor­schlag beinhal­tet die Mög­lich­keit der Ehe­schlies­sung und ein Adop­ti­ons­recht für homo­se­xu­el­le Paa­re. Es opti­miert die Leit­li­ni­en zu sexu­el­len und repro­duk­ti­ven Rech­ten und schützt Opfer häus­li­cher Gewalt.

Das Selbst­be­stim­mungs­recht von älte­ren Fami­li­en­mit­glie­dern, Kin­dern und Men­schen mit Beein­träch­ti­gung wird gestärkt. Aus­ser­dem för­dert es die Gleich­stel­lung der Geschlech­ter und den Respekt für die freie sexu­el­le Orientierung.

„Wir sehen uns einem Fami­li­en­ko­dex gegen­über, der die Garan­tien der Rech­te auf alle Men­schen ohne Unter­schied aus­wei­tet, kei­ne Model­le ver­ur­teilt oder auf­er­legt und zur Ero­si­on des Patri­ar­chats als Mit­tel der Unter­drü­ckung und Dis­kri­mi­nie­rung bei­trägt“, beton­te Marie­la Cas­tro Espín in der Natio­nal­ver­samm­lung der Volks­macht, wo der Geset­zes­ent­wurf im Dezem­ber 2021 dis­ku­tiert und geneh­migt wur­de. Als Direk­to­rin des kuba­ni­schen Zen­trums für Sexu­al­auf­klä­rung CENESEX setzt sich Marie­la Cas­tro Espín schon seit vie­len Jah­ren sehr enga­giert für die Belan­ge von LGBTIQ* in ihrer Hei­mat ein.

Vor allem christ­li­che Grup­pen mobi­li­sie­ren der­zeit auf der Stra­ße und in den sozia­len Netz­wer­ken mas­siv gegen das neue Gesetz: “Seremos como Cris­to” (wir wer­den so sein wie Jesus Chris­tus), sagt ein Kind mit blau­em Kreuz­an­hän­ger auf einem Kam­pa­gnen­bild in Anspie­lung an die staat­li­che Pio­nier­or­ga­ni­sa­ti­on, deren Mot­to “Seremos como el Che” lau­tet. Dar­un­ter wird mit Hash­tags wie “Nein zum neu­en Fami­li­en­ge­setz” und “Mit mei­nen Kin­dern legst du dich nicht an” gewor­ben. Auf den Stra­ßen Havan­nas fin­den die­ser Tage gehäuft Pre­dig­ten von evan­ge­li­ka­len Grup­pen statt, wobei vor “Gen­­der-Ideo­­lo­­gie”, “gefähr­li­cher Sexu­al­erzie­hung” und “Unter­gra­bung der elter­li­chen Auto­ri­tät” gewarnt wird.

Laut der Sozio­lo­gin Gey­dis Fun­do­ra von der Uni­ver­si­tät Havan­na ist bereits seit eini­gen Jah­ren eine Zunah­me kon­ser­va­ti­ver Dis­kur­se durch fun­da­men­ta­lis­ti­sche Krei­se in Kuba zu beob­ach­ten. Die Nar­ra­ti­ve ähnel­ten dabei denen jener christ­li­cher Grup­pen, wel­che in Bra­si­li­en den rechts­ge­rich­te­ten Prä­si­den­ten Jair Bol­so­n­a­ro unter­stütz­ten. Hin­zu kom­me, dass nicht alle den „Códi­go“ tat­säch­lich gele­sen hät­ten. “Eini­ge bil­den sich ihre Mei­nung auf Basis sol­cher Kam­pa­gnen oder Ansich­ten von Nachbar*innen. Dabei wird häu­fig gegen ein­zel­ne Aspek­te pole­mi­siert, ohne dem gesam­ten Umfang des Geset­zes Rech­nung zu tra­gen”, so Fundora.

Eine wei­te­re Kon­tro­ver­se ist um die Reform des Sor­ge­rechts und die Rech­te von Kin­dern in der Fami­lie ent­stan­den. Der aus dem römi­schen Recht stam­men­de Sor­ge­rechts­be­griff “patria pro­testad”, mit dem tra­di­tio­nell der Vater als Fami­li­en­ober­haupt ver­knüpft ist, soll durch den neu­tra­len Aus­druck “responsa­bil­idad paren­tal”, elter­li­che Ver­ant­wor­tung, ersetzt wer­den. Damit ein­her geht die Stär­kung der kind­li­chen Auto­no­mie. Der Ent­wurf wird in die­sem Bereich sowohl begriff­lich als auch inhalt­lich in Über­ein­stim­mung mit der Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on der Ver­ein­ten Natio­nen gebracht. Tei­le der Gesell­schaft neh­men dies jedoch als Bedro­hung wahr.

(Infor­ma­ti­ons­quel­len: amerika21/cuba heute/Gramna/Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba)