“Jetzt kommt es dar­auf, an sich mit Leib und See­le einzusetzen”

By Published On: Novem­ber 6, 2025Cate­go­ries: News

Hur­ri­kan Melis­sa wur­de zu einem Wen­de­punkt im Leben die­ser bei­den jun­gen Men­schen und vie­ler Men­schen in ihrer Umgebung.//Autor: Anai­sis Hidal­go Rodrí­guez internet@granma.cu//november 4, 2025//

Kare­lia Gon­zá­lez Cad­rel­lo ist 33 Jah­re alt und Sozi­al­ar­bei­te­rin. Sie lebt in Cau­to del Paso, einem Orts­teil von Río Cau­to. Ihr Leben, das sie der Gemein­de Los Cay­os wid­me­te, ver­än­der­te sich schlag­ar­tig, als Hur­ri­kan Melis­sa droh­te und sie plötz­lich selbst zur Eva­ku­ier­ten wurde.
Ihr Bericht ver­deut­licht die drei­fa­che Erfah­rung, Orga­ni­sa­to­rin, Opfer und Mut­ter zu sein – in einer der schwers­ten Kri­sen, die ihre Stadt je durch­ge­macht hat und die noch immer andauert.

DER AUFRUF ZUM HANDELN
Für Kare­lia ist Sams­tag, der 25. Okto­ber 2025, unaus­lösch­lich in ihrem Gedächt­nis. Als auf­grund des her­an­na­hen­den Hur­ri­kans Melis­sa die Hur­ri­kan­war­nung aus­ge­ru­fen wur­de, trat der Zivil­schutz sofort in Akti­on: „Der Volks­rat wur­de umge­hend akti­viert, alle waren sofort zur Stel­le.“ Dank ihrer Aus­bil­dung als Sozi­al­ar­bei­te­rin spiel­te sie eine Schlüs­sel­rol­le bei der Rettungsaktion.
Ihr Ein­satz fand in der Gegend um Tasa­jera statt, wo sie aktiv an der Eva­ku­ie­rung der Bewoh­ner betei­ligt war. Sie über­nahm die Ver­ant­wor­tung für eine Grup­pe und mel­de­te sich regel­mä­ßig im Lage­zen­trum, wo „jedes Detail erfasst wur­de“. Das Bild, das sich ihr bot, war herz­zer­rei­ßend: „Es war schwer zu ertra­gen, all die Men­schen mit ihren Kof­fern, ihren Kis­ten und dem weni­gen Hab und Gut zu sehen, das sie ret­ten konn­ten. Es war ein beein­dru­cken­der Anblick, aber noch scho­ckie­ren­der war der Anblick, der ver­zwei­fel­ten Men­schen, die man unter­wegs sah, die unbe­dingt her­aus wollten.“

DIE RVAKUIERUNG
Bei der Eva­ku­ie­rungs­ak­ti­on wur­den Trak­to­ren mit Anhän­gern ein­ge­setzt, um die Bevöl­ke­rung zu trans­por­tie­ren. Am nächs­ten Tag wur­de die Eva­ku­ie­rung fort­ge­setzt, und sie und ihre bei­den Töch­ter wur­den in die Not­un­ter­kunft in Mira­de­ro gebracht. Von dort aus fuh­ren Bus­se sie zur Päd­ago­gi­schen Schu­le Rubén Bra­vo Álva­rez in Bayamo.
Inmit­ten des Cha­os und in Sekun­den­schnel­le pack­te Kare­lia das Nötigs­te in eine Tasche. Die Lis­te spie­gelt den Prag­ma­tis­mus einer Mut­ter in Kri­sen­zei­ten wider: „Zahn­bürs­te, Zahn­pas­ta, Sei­fe, Deo und Käm­me; min­des­tens zwei Laken, eines für die Matrat­ze und eines zum Zude­cken, und nur fünf Gar­ni­tu­ren Klei­dung, die jedes der Mäd­chen mit­nahm. Es gab kei­ne Mög­lich­keit, etwas ande­res zu ret­ten“, sagt sie.
„Wir wur­den früh­zei­tig wegen der Gefahr durch den Cau­­to-del-Paso-Stau­­damm eva­ku­iert, des­halb konn­ten wir nicht vie­le Sachen mit­neh­men. Wir hät­ten uns auch nie vor­stel­len kön­nen, dass die Über­schwem­mun­gen so extrem wer­den wür­den“, fügt sie hinzu.

DER VERLUST
Die Tren­nung von ihrer Fami­lie war der schmerz­lichs­te Schlag. Ihre Mut­ter blieb zurück, und obwohl Kare­lia spä­ter erfuhr, dass sie in Gri­to de Yara in Sicher­heit war, wur­de die Angst bald durch die ver­hee­ren­de Nach­richt über ihr Zuhau­se noch ver­stärkt: „Es hieß, das Haus mei­ner Mut­ter war eines der ers­ten, das vom Was­ser weg­ge­spült wur­de. Wir wis­sen nicht, was noch steht.“ Die Unge­wiss­heit ver­wan­delt sich in einen Alb­traum. Die Angst rührt nicht nur von dem her, was sie bereits erlebt haben, son­dern auch von dem, was sie bei ihrer Rück­kehr vor­fin­den werden.
„Ich habe wirk­lich Angst“, gesteht sie. Sie malt sich aus, wie scho­ckie­rend es sein wird, wenn sie ankom­men … „Die Angst, dass das Haus, falls es über­haupt noch steht, wegen der Feuch­tig­keit über uns zusam­men­stürzt, weil die Böden bereits völ­lig durch­nässt sind.“
Die­se quä­le­ri­schen Gedan­ken – das Wis­sen, dass der Boden selbst insta­bil ist – ver­stärkt ihre ohne­hin schon gro­ßen Sor­gen noch zusätz­lich. Trotz der Angst und des dro­hen­den Ver­lus­tes ver­liert Kare­lia ihren Lebens­mut nicht. Ihre Töch­ter zei­gen eine beein­dru­cken­de Wider­stands­fä­hig­keit und packen ein paar Din­ge in den Ruck­sack, wäh­rend ihre Mut­ter nur sagt: „Nun ja, wenigs­tens leben wir noch.“
Am Ende ihrer Erzäh­lung über­kommt sie eine tie­fe Rüh­rung. Selbst ange­sichts des dro­hen­den Ver­lusts ihres Zuhau­ses bleibt ihre Dank­bar­keit für das Leben bestehen. Es ist die Aner­ken­nung einer Per­son, die die Mobi­li­sie­rung haut­nah mit­er­lebt hat: „Dank der Revo­lu­ti­on leben wir wirk­lich. Ich bin dank­bar für alles, was ihr tut.“
Die Geschich­te von Kare­lia Gon­zá­lez Cad­rel­lo ist ein ein­dring­li­ches Zeug­nis der mensch­li­chen Fähig­keit, Wid­rig­kei­ten zu trot­zen, selbst wenn sie noch nicht vor­bei sind. Die 33-jäh­ri­­ge Sozi­al­ar­bei­te­rin lebt in der quä­len­den Unge­wiss­heit, gefan­gen zwi­schen der Erleich­te­rung, am Leben zu sein, und der erschre­cken­den Aus­sicht, in Trüm­mer zurück­zu­keh­ren. Die Nar­ben die­ser Kata­stro­phe sit­zen tief, und der Weg zum Wie­der­auf­bau – sowohl ihres Zuhau­ses als auch ihrer inne­ren Sicher­heit – hat gera­de erst begonnen.

DREI TAGE UNTER DEN STERNEN
Der 18-jäh­ri­­ge Leosva­nis Reyes Ruiz bewirt­schaf­tet Lan im Nieß­brauch und lie­fert sei­ne Milch an die Koope­ra­ti­ve Los Sil­va in Río Cau­to, Gran­ma. Nie­mand ver­steht die zwie­späl­ti­ge Natur des gleich­na­mi­gen Flus­ses bes­ser als er: Er ist sei­ne Lebens­grund­la­ge und zugleich eine stän­di­ge Bedrohung.
Er hat­te von den erfah­re­ne­ren Ein­hei­mi­schen Geschich­ten über Hur­ri­kan Flo­ra gehört, über die Zeit, als das Was­ser Höhen erreich­te, die sich die jün­ge­ren Gene­ra­tio­nen nicht ein­mal vor­stel­len konn­ten, aber nichts hat­te ihn auf die Wucht von Hur­ri­kan Melis­sa vor­be­rei­tet, der Ende Okto­ber den Osten Kubas verwüstete.
Als der Cau­to die Ebe­ne zu über­schwem­men begann, schrumpf­te die Rea­li­tät auf einen ein­zi­gen Punkt auf der Land­kar­te: das Dach eines Lebens­mit­tel­la­gers in Los Cay­os. Dort such­ten José, Gio­van­ni und ihr Freund Joel zusam­men mit wei­te­ren Men­schen Zuflucht. Sie dach­ten, es wären nur für ein paar Stun­den, aber das Was­ser stieg immer wei­ter. Drei Tage und drei Näch­te, dem Was­ser, der Käl­te, den Mos­ki­tos, dem Hun­ger und dem Schmerz aus­ge­setzt, den Ver­lust so vie­ler Tie­re zu sehen.

Sie hat­ten nichts zu essen; her­un­ter­zu­stei­gen war unmög­lich, ein Todes­ur­teil. Der Fluss riss alles mit sich, was ihm im Weg stand.
„Eines mei­ner Pfer­de wur­de von der Strö­mung mit­ge­ris­sen, und eine gan­ze Men­ge Kühe wur­de fort­ge­spült. Nur weni­ge haben über­lebt“, flüs­tert er, wohl wis­send, dass auch die Über­le­ben­den spä­ter ster­ben wür­den, denn das Was­ser hat­te das Gras bedeckt, und ohne Wei­de – was soll­ten sie fressen?
In Leosva­nis’ Kopf schwand die Hoff­nung. „Wir wuss­ten nicht mehr, was wir tun soll­ten … Ich dach­te, wir wür­den es nicht schaf­fen.“ Er umarm­te sei­nen Freund Joel, teil­te mit ihm die Angst und die Käl­te und starr­te in den lee­ren Him­mel, bis das fer­ne Grol­len sie aus ihren Gedan­ken riss: die Hub­schrau­ber der Revo­lu­tio­nä­ren Streit­kräf­te. Die Ret­tung war ein Moment des blan­ken Ent­set­zens und der Ehr­furcht. Der Hub­schrau­ber näher­te sich und fand eine klei­ne tro­cke­ne Stel­le, wo er lan­den konn­te. „Wir spran­gen auf und klet­ter­ten hin­ein“, erin­nert sich Giovanni.

„Wir sind ein­fach hoch­ge­klet­tert, haben die Augen geschlos­sen und uns umarmt. So etwas hat­te ich in mei­nem gan­zen Leben noch nie erlebt.“
Spä­ter wur­de er in ein Eva­ku­ie­rungs­zen­trum gebracht. Dort traf er sei­ne Tan­te und sei­nen jün­ge­ren Bru­der wieder.
„Jetzt müs­sen wir uns all dem stel­len“, sagt Leosva­nis mit beein­dru­cken­der Ent­schlos­sen­heit. „Selbst wenn uns nur noch zwei oder drei Kühe blei­ben, kämp­fen wir wei­ter“, erklärt er.
Hur­ri­kan Melis­sa wur­de zu einem Wen­de­punkt in Leosva­nis’ Leben. Er raub­te ihm Pfer­de, Kühe, wahr­schein­lich sei­ne klei­ne Farm und sein Gefühl von Nor­ma­li­tät, aber er konn­te dem jun­gen Ran­cher, der nach drei Tagen unter frei­em Him­mel über­leb­te, sei­nen Lebens­wil­len nicht neh­men. Er erzählt sei­ne Geschich­te und ist fest ent­schlos­sen, „alles wiederzugewinnen“.